Albrecht Glaser nimmt in einem offenen Brief an DIE WELT Stellung zu deren Leitartikel “Einwanderungsrecht steht vor Eigentumsrecht” vom 03.11.2015.

Sehr geehrter Herr Schmid,

Ihr ausführlicher Beitrag an prominentester Stelle in der WELT vom 03. November über „Europas Aufgabe“, die Sie „gewaltig“ nennen, ist in Wahrheit ein Plädoyer für die „endgültige“ Aufgabe Europas. So einfach sich diese Aussage formulieren ließe, vermeiden Sie solche Klarheit. Sie bedienen sich stattdessen der Merkel‘schen Paradoxie:
„Europa ist ein freiheitlicher, ein liberaler Kontinent, der sich verrät, wenn er vorübergehend sein Portierhäuschen schließt und das Schild „Wir dürfen hier nicht rein“ draußen aufhängt.“
Diese Aussage ist deshalb paradox, weil sie die Freiheit der Europäer, zu entscheiden, welche und wie viele Menschen sie in diese Freiheitsgemeinschaft aufnehmen wollen, nicht nur beschneidet, sondern abschafft. Diese Duldungspflicht der Europäer, die Sie fordern, korrespondiert mit der Anerkennung eines Freiheitsrechts für alle Nichteuropäer zu entscheiden, ob sie nach Europa ziehen wollen. Es wird die Entscheidungsfreiheit der Europäer über ihr Hoheitsgebiet der Entscheidungsfreiheit der übrigen Weltbevölkerung untergeordnet. Da die Gebietshoheit ein konstitutives Merkmal für die Existenz eines Staates ist, würden die Europäer hierdurch ihre Staaten auflösen. Diese Feststellung entstammt dem Grundkanon der weltweit anerkannten Staatstheorie.
Was die europäischen Einzelstaaten angeht, haben sie solche Rechtsverzichte schon teilweise zugunsten der EU geleistet. Allerdings war die EUinterne (eingeschränkte) Wanderungsfreiheit geknüpft an die EU-rechtliche Regelung über einen üblichen Gepflogenheiten entsprechenden Schutz der Außengrenzen (Schengen). Wie wir seit Jahren wissen, funktioniert dieser Schutz nicht, was sowohl die internationale Kriminalität begünstigt als auch Teil des in Rede stehenden Problems der Völkerwanderung ist. Immerhin hat jeder EU-Staat nach Art. 50 Abs. 1 EUV das Recht, aus der Union auszutreten. Damit gewinnt er die volle Souveränität über sein Staatsgebiet zurück. Die Briten werden demnächst diese Frage zu beantworten haben. Und da die dortige Bevölkerung zu entscheiden hat, also der wahre Souverän eines jeden Staates, der sich Demokratie nennt, kann man hoffnungsfroh sein.
Dass die von Ihnen propagierte Aufgabe der Gebietshoheit schon rein physisch zu einer schnellen Beendigung der Freiheit der derzeitigen Europäer führt, ist offenkundig. Dazu bedarf es auch nicht einer unbestimmten Vielzahl von Menschen dieser Welt. Es reicht schon die Zahl derer, die bereits heute oder in naher Zukunft „wanderungsbereit“ sind oder sich in bestehenden Flüchtlingslagern aufhalten. Nach einer Auskunft des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen wird die Zahl der derzeit in Migration befindlichen Menschen auf ca. 45.000.000 geschätzt. Andere fachkundige Experten schätzen die Zahl eher auf 60.000.000. Die Bevölkerungsexplosion in Afrika bis 2050 führt dort zu 3 Mrd. Einwohnern gegenüber 1,6 Mrd. derzeit, von denen eine noch weit größere Zahl nach Europa drängen wird, nicht zuletzt wegen der erwarteten Klimaprobleme. Die humanitäre Verheißung, die Probleme des Nahen Ostens und Afrikas seien in Europa zu lösen, ist daher eine Fata Morgana.
Klar ist auch, dass mit dem gleichen Mitteleinsatz, der jetzt in Europa für die angebliche „Integration“ aufgewendet werden soll, an Standorten in oder in der Nachbarschaft der unmittelbaren Krisenzentren ein vielfacher Nutzen gestiftet werden könnte. Bereits jetzt haben die in Deutschland lebenden Menschen „mit Migrationshintergrund“, wie es im Demografiebericht der Bundesregierung von 2011 heißt, zu 43 % keine abgeschlossene Berufsausbildung. In diese Rechnung einbezogen sind auch die, welche in Deutschland geboren und sozialisiert sind. „Damit bestehen geringe Aussichten, auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu sein“, sagt der Bericht. Die Projektion dieser Erfahrungen auf die derzeitigen Immigranten und deren Arbeitsintegration lässt keinen Spielraum für seriöse Integrationserwartungen. Mit kaum aufzubringendem Mitteleinsatz wird kein vertretbarer Erfolg zu erreichen sein.
Die kulturellen Integrationsziele, welche die Entstehung von Parallelgesellschaften verhindern sollen, ein Ziel, das vor Jahren Frau Merkel noch ganz wichtig war, sind ebenso unerreichbar. Der unerschütterliche Glaube an den Sozialarbeiter, der als Diener des alleskönnenden Staates auch solche Wunder vollbringt, ist absurd. Alle kulturell zentrifugalen Kräfte werden eine Stärkung erfahren. Ein Europa, das zur Selbstvergewisserung nicht in der Lage ist und in Kulturrelativismus zerfließt, wird sich auch ideell auflösen. Alles andere sind Phantasmagorien von Utopisten, von denen das Land voll ist. Eher wird Europa levantinisch als umgekehrt. Das gilt auch für den Islam, der als religiöse Kulturlehre den säkularen Staat und eine demokratische Rechtssetzung ablehnt. Auch die Gleichberechtigung von Frauen im politischen und gesellschaftlichen Leben ist mit dem Islam nicht zu vereinbaren.
Und was die ethische Dimension angeht, sagt der Direktor des „Centre for the Study of African Economies“ in Oxford, Prof. Paul Collier: „Europa hat eine moralische Verpflichtung, Flüchtlinge aus dem Meer zu fischen, weil es moralisch dafür verantwortlich ist, sie auf das Meer gelockt zu haben. Was auch immer Europa tut, es muss diese Politik der Verlockung beenden. Die Chancen auf einen privilegierten Zugang nach Europa sollten für die 10 Millionen Vertriebenen nicht geringer sein als für jene Syrer, die einem Gauner Tausende Dollar für einen Platz auf einem Boot zahlen. Wenn Europa sich daran hält, wird niemand mehr dafür zahlen, auf ein Boot zu kommen.“ Dies gilt umso mehr für die, welche aus keinem Krisengebiet kommen. Und dies alles hätte den Vorteil, dass (vielleicht) ein Europa erhalten bliebe, dass auch in Zukunft wirtschaftlich in der Lage wäre, internationale Hilfe zu leisten.
Die kriminologische, terroristische und außenpolitische Dimension des Themas wird, wie vielfach anderwärts, auch bei Ihnen vorsätzlich beschwiegen. Die Mafiosi verschiedener Ethnien, die das schon in ihren Heimatländern gut können, werden die hiesige Unterwelt noch fester in den Griff nehmen. Einer der Gründe, warum viele der Herkunftsländer nicht funktionieren, also nicht gelingende Staaten („failed states“) sind, wird auf diese Weise importiert. Die Folgen daraus für die europäischen Staaten sind vorhersehbar. Die Nachrichtendienste dieses Landes, die angeblich nicht in der Lage waren das jetzige Tsunami-Geschehen vorherzusehen, warnen vor Kriminalität und importiertem Terrorismus. Für eine solche Erkenntnis braucht es diese Nachrichtendienste auch nicht. (Man könnte sie also ersatzlos abschaffen!) Die Türkei verteilt türkische Pässe an jedermann aus der Region, um das von Erdogan wiederholt geäußerte Ziel der Islamisierung des Abendlandes über seine EU-Rechtsprivilegien schneller zu erreichen. Das ist Außenpolitik, der anderen. Bei uns gibt es keine.
Insofern ist Ihre Bemerkung „Eigentum und Nation sind wichtig, kommen aber nach der Einwanderung“, vorsichtig ausgedrückt, verstörend. Zunächst besteht diese Welt aus prinzipiell souveränen Staaten. Diese sind, wenn sie funktionieren, Freiheits- und Identifikationsräume für ihre Bürger. Und in diesem Falle sind sie eine Kostbarkeit. Sie sind zudem eine Kulturleistung, die bei der UNESCO unter Schutz gestellt werden sollte. Diese zur Disposition zu stellen gegenüber einem „internationalistischen Prinzip“, das seit eh und je intellektueller Utopie entsprungen war, ist im tiefsten Sinne inhuman. Das Unheil, das angerichtet wird, wenn es den funktionierenden Demokratien nicht gelingt, sich zu behaupten, wird unermesslich sein. Denn eine internationale Demokratie wird und kann es nicht geben, weil sie kein „Demos“ (Staatsvolk) hat. Also wird der jahrhundertelange blutige Kampf um die Menschenrechte, die nur ein demokratischer Staat gewährleisten kann, endgültig verloren sein. Und dort, wo es noch keine Demokratie gibt, wird es auch in Zukunft niemals eine geben.
Damit kommt man zu dem Punkt, an dem man sich fragt: „Warum schreibt jemand das, was Sie auf den zwei großen Seiten Ihrer von Haus aus angesehenen Zeitung so widerspruchsvoll ausbreiten?“ Da Sie ihre Sichtweise, wenn auch etwas verdeckt, übernehmen, denkt man an die amtierende Kanzlerin, um die es in Wahrheit gehen soll. Sie soll vor dem Absturz bewahrt werden, obwohl sie in einer Eigenmacht, die ihresgleichen in der Geschichte der Bundesrepublik nicht findet, über Schicksale von Millionen Menschen nahezu alleine entscheiden will und teilweise bereits entschieden hat. Sie hat alleine entschieden ohne jeden Haushaltsgesetzgeber über 30 bis 40 Mrd. jährlicher Ausgaben und das für viele Jahre. Sie hat entschieden, sich über die Regeln des Einwanderungsgesetzes und des Asylverfahrensgesetzes hinwegzusetzen, obwohl die getroffene Entscheidung der Grenzöffnung verboten und strafbar ist (§ 96 AufenthG).
Man wird Ihnen in Ihrem Hause von ganz oben den Auftrag erteilt haben, diesen Flankenschutz zu übernehmen. Ihre Bemühungen werden jedoch nicht erfolgreich sein.
Die Absurdität dieses Vorgangs und die Abenteuerlichkeit der vorgetragenen Überlegungen sind zu gewaltig, als dass ein Staatsvolk sich länger dadurch übertölpeln ließe. In den östlichen Ländern gärt es deshalb in besonderer Weise, weil die Erinnerung an die Spätphase des Honecker- Regimes lebendig wird. Die Parallelen sind zu augenfällig. An gleicher Stelle in der WELT, an welcher Ihr Beitrag abgedruckt war, zitiert Henryk Broder heute einen von ihm „sehr geschätzten Ökonomen“ mit der Formulierung: „Mittlerweile fürchte ich wirklich, dass Angela Merkel entweder den Verstand verloren hat oder eine uns unbekannte Agenda verfolgt.“ Natürlich gehen jedem Nachdenklichen das kommunistische Elternhaus und die Sozialisation Merkels im SED-Staat durch den Kopf. Die internationalistische Fantasie gehört zum Kerndogma des Marxismus. Sie mag tief in der Persönlichkeit Merkels schlummern und hat sich möglicherweise in ihrer absurden und inzwischen starrsinnig verteidigten Form vergegenständlicht.
Eine Weile kann man vielleicht noch mit Ausgrenzung, Diffamierung und Tugendterror die öffentliche Meinung bestimmen und politisch Aufbegehrende in Schach halten. Man kann auch die Medienwalze des teuersten Staatsmedienkonzerns der Welt als Instrument einsetzen, weil eine parlamentarische Opposition nicht existiert. Es gibt wieder Blockparteien, die zur Inszenierung einer Fassadendemokratie zur Verfügung stehen. Man kann durch Informationsunterdrückung, mit Disziplinarverfahren im öffentlichen Dienst (unter anderem gegen Polizisten) und Verstärkung der Personalpatronage bei der Besetzung aller wichtigen öffentlichen Ämter Druck ausüben bis in die Justiz hinein. Dies geschieht seit Jahren und in jüngster Zeit verstärkt.
Wenn aber ein Innenminister in Urlaub fährt, während täglich 10.000 Menschen aus aller Herren Länder die Staatsgrenzen unkontrolliert und unter Verletzung des geltenden Strafrechts überschreiten und ein Regierungspräsident der CDU erklärt, wem dies alles nicht gefalle, der könne dieses Land verlassen, dann sind Grenzen überschritten (apropos), die eine taumelnde Administration nicht überleben wird. Ein Staat, der die elementarsten Sicherheitsprobleme nicht lösen kann, hat seine Autorität verloren. Und wenn die amtierende Kanzlerin erklärt, ab wann sie dem Volk kündigt, weil es ihr nicht mehr folgt, spätestens dann ist ein Zustand erreicht, der nicht über eine Tagesordnung reparabel ist. Die Europapolitik und die Energiepolitik haben den Realitätsverlust und die handwerkliche Unfähigkeit der politischen Elite seit Jahren hinreichend dokumentiert. Die herbeigeredete und theatralisch begrüßte Invasion ist ein Schlusspunkt. Diese Elite und ihre politischen Maximen haben jede Legitimität verloren. Sie wurde ihr auch nur von rund der Hälfte der Stimmbürger übertragen. Und sie hat ihr Mandat gröblich missbraucht.
Insofern muss Merkel gehen und ihre Paladine mit ihr. Die Union, die noch nie so wenig eine Volkspartei war wie derzeit, muss sich entscheiden, ob sie die Politik ihrer Protagonistin gegen das Volk weiterhin stützt und sich damit in eine Existenzkrise bringt oder die Leitfiguren auswechselt und zugleich deren politische Verirrungen beendet. Dann hat sie vielleicht eine Chance, ein Machtfaktor zu bleiben.
Nein, Angela Merkel schafft es nicht!
Mit freundlichen Grüßen

Albrecht Glaser
Bundesvorstand der Alternative für Deutschland