Ein Essay von Dirk Driesang, Mitglied im Bundesvorstand der Alternative für Deutschland

Inhaltliche Debatte jetzt führen!

Die Reaktionen auf meinen Offenen Brief an Herrn Höcke waren geteilt. Auf Facebook hat man nach den Kommentaren den Eindruck, als hielten sich Unterstützer und Gegner meines Briefes in etwa die Waage. Dieser Eindruck scheint aber insgesamt betrachtet zu täuschen. Per Email erhalten ich und weitere Funktionäre und auch Geschäftsstellen sehr viel mehr unterstützende Rückmeldung als Ablehnung.

Folgendes möchte ich vollkommen ohne Ironie oder Sarkasmus vorab anmerken.

Ich bin Herrn Höcke dankbar für die Deutlichkeit seiner Rede in Dresden. Dadurch hat er der Partei, man ist fast versucht zu sagen – endlich, die Debatte aufgezwungen, die wir unbedingt zur Klärung brauchen. Natürlich hat sich die Debatte an der Person Höcke zunächst kristallisiert. Wir dürfen aber alle, damit meine ich Fürsprecher und Gegner gleichermaßen, nicht vergessen, dass es eigentlich um weit mehr geht.

In Wirklichkeit ist diese jetzt zu führende Debatte nämlich eine inhaltliche. Wir müssen also den Diskurs über die Person Höcke („bist Du für oder gegen Höcke?“) überschreiten und stattdessen fragen: Welche Prinzipien, welches „Wesen“ sollen unsere Partei im Innersten jetzt und zukünftig tragen?

Der Ausgang der Debatte wird für die zukünftige Programmatik und den zukünftigen Kurs der Partei Alternative für Deutschland entscheidend sein, das ist so gut wie sicher.

Mir ist von vielen Kommentatoren vorgeworfen worden, ich hätte etwas Unerhörtes getan, meine Kompetenzen überschritten, sei unfair gewesen. Dem möchte ich widersprechen. Wer meine Bewerbungsrede für den BuVo auf dem BPT in Essen gehört hat, wer beispielsweise meine Rede in Bamberg, die ich hier und auf meiner Webseite als PDF verlinkt habe, gelesen hat, wer meine Aufklärungsarbeit rund um den Landesverband Saarland verfolgt hat, der muss – egal ob Befürworter oder Gegner – zugeben, dass ich meinem Kurs treu geblieben bin. Und dieser Kurs ist eben nicht „mein privater Kurs“, sondern er ist das konsequente Weiterführen dessen, was von Anfang an sehr viele Menschen zur AfD gebracht hat, was in Leitlinien, Grundsatzprogramm und Präambel wohlverstanden zum Ausdruck gebracht wird.

Die AfD wollte immer eine (im weitesten Sinne) bürgerliche Alternative sein. Die Bandbreite darf sich dabei über das gesamte politische Spektrum ausbreiten, nur die beiden extremen Ränder sind auszunehmen. Die innerparteilichen Positionen dürfen und sollen demnach im besten Sinne pluralistisch sein. So startete die AfD, diesen Kurs hat die AfD bisher immer verfolgt. Und es ist genau dieser Kurs, den nicht nur ich jetzt verteidige.

Wer hingegen Herrn Höckes Rede aufmerksam und klug verfolgt hat, der kann nicht um einige Feststellungen herumkommen. Genau betrachtet möchte Herr Höcke sowohl den innerparteilichen als auch den gesellschaftlichen Pluralismus „beerdigen“. Das wäre für die AfD etws unerhört Neues! Darüber hinaus ist die AfD für Höcke lediglich ein Vehikel. Dieses Vehikel soll nämlich irgendwann „51 %“ bekommen, anschließend den „vollständigen Sieg“ erringen und kann dann „erstarren“, weil die „Aufgabe erfüllt“ ist. Das sind nicht etwa meine Worte oder meine Interpretation, sondern das waren klare Bestandteile von Höckes Dresdner Rede.

Dieser Gedankengang offenbart unmissverständlich folgende eigentliche Zielsetzung Höckeschen Denkens:

Nach Erreichen eines „point of no return“ ist ein unveränderlicher Zustand erreicht, der nicht mehr rückabzuwickeln ist. Das aber kann man theoretisch überhaupt nur durch zwei Umstände erreichen. Erstens durch das Errichten eines totalitären Regimes. Oder zweitens durch die „Geburt eines neuen Menschens“, der Kraft seines Seins keine Fehler mehr begeht. Muss noch betont werden, dass diese beiden Möglichkeiten gegen das Gesetz genauso wie gegen die Vernunft verstoßen würden? Ich hoffe nicht. Darüber hinaus wissen wir aber nach den historischen Erfahrungen, die gerade Deutschland in Kommunismus und Nationalsozialismus bitter gesammelt hat, dass sowohl totalitäre Regime als auch das Versprechen eines „neuen Menschen“ gänzlich in die Irre führen, weil sie auf uneinlösbaren Versprechen beruhen. Ob Herr Höcke selbst dies alles bis zum letzten so durchdrungen hat, sei dahingestellt. Es bleibt aber die Tatsache bestehen, dass er es so gesagt hat und nach eigener Aussage auch weiterhin konsequent verfolgen wird.

Wenn man dem hier ausgebreiteten Gedankengang folgt, so wird deutlich, dass die Redewendung von „der letzten evolutionären Chance“, die Herr Höcke oft im Hinblick auf die AfD bemüht, in Wirklichkeit eine „getarnte Revolution“ meint. Einen solchen Weg sollte aber keine demokratische Partei unterstützen, auch nicht als Vehikel.

Ich bin davon überzeugt, dass sich sehr viele Unterstützer Herrn Höckes der aufgeführten Konsequenzen nicht vollständig bewusst sind. Sie möchten, indem sie ihn verteidigen „die freie Rede“ schützen. Dies verkennt aber, dass innerhalb einer Partei, (die, um wählbar zu sein, einen bestimmten, klar erkennbaren Grundkonsens erfordert) eben nicht „alles“ geht. Das würde die Möglichkeiten einer Partei überstrapazieren.

Zudem unterliegen die Unterstützer Herrn Höckes m E einem weiteren Missverständnis. Sie halten die anderen (also die „Gegner Höckes“) wahlweise für „Waschlappen, Duckmäuser, Feiglinge, Verräter“ etc., die nur auf Appeasement aus wären, um mit „den Etablierten“ schnell ihren Frieden schließen zu können. Diese Annahme ist aber falsch. Wie aus dem Grundsatzprogramm der AfD hervorgeht und wie das im Augenblick entstehende BTW-Programm konkretisieren wird, bleiben die so geschmähten „anderen“ fleißig einem Kurs treu, der die Kraft und das Ziel hat, wirkliche Veränderungen bei entscheidenden politischen Fragen zu bewirken.

Und noch eins ist wichtig zu erkennen: Vor einer hier skizzierten „Höcke AfD“ bräuchten die „Etablierten“ keine Angst zu haben. Setzt dieser Dresdner Höcke sich durch, so wird die AfD so oder so marginalisiert werden und in den Parteizentralen der ganz großen Koalition in Berlin werden die Sektkorken nur so um die Wette knallen.

Auch dieser Text wird wieder unterschiedliche Reaktionen auslösen, das ist sicher. Daher bereits jetzt ein Appell. Überschreiten wir das Persönliche und diskutieren wir stattdessen mehr über das Inhaltliche. Wo ist etwa, um zwei Themen anzureißen, die Grenze des Konservativen erreicht bzw. überschritten, was genau ist Patriotismus, was muss und was darf er sein, wann kippt Patriotismus in Nationalismus um?

Vergessen sollten wir niemals, dass selbst der „größte Gegner“ immer auch Mensch bleibt und als solcher Würde und Respekt verdient. Niemals darf dieser Mensch zum Mittel für irgendeinen Zweck herabgewürdigt werden. Begreifen wir zudem alle die nun zu führende Debatte als wahrscheinlich einzigartige Chance der Klärung.