Dilettanten oder Profis?

ιst eine häufige Frage, die bei der Betrachtung der jüngsten Ereignisse in Griechenland gestellt wird.

Seit der Vereidigung der neuen griechischen Regierung veröffentlichen täglich fast alle europäischen Zeitungen und ausschließlich auf den ersten Seiten Aussagen griechischer Minister. Interessant dabei ist, dass diese Aussagen keine Übereinstimmung untereinander aufweisen. Ja sogar diese teilweise diametral entgegengesetzt zu sein scheinen.
Und schließlich wird jede dieser Aussagen, je nach politischer Richtung, mit jeweils einer Mutmaßung über ihren Sinn kommentiert und so gut wie nicht (als Reportage) dokumentiert.

Der Empfänger dieser „Botschaften“ tendiert in der Regel dazu, sich zu fragen:
„Was wollen eigentlich die Griechen?“, „Ja, sind die denn verrückt geworden?“, oder festzustellen:
„sie sind aber sehr arrogant!“ etc. etc.

Ist es so oder könnte etwas anderes dahinter stecken? Heute versuchen wir einiges zu ordnen und mögliche logische Antworten zu finden. Aber vor allem versuchen wir unsere Position zu definieren. Weil alles, was gesagt wird, direkt und fast ausschließlich mit uns (Deutschen) zu tun hat.

Über die wichtigsten Personen (Minister) konnten Sie letzte Woche einiges erfahren. Eine weitere wichtige Person ist der Minister für Produktionsneuorganisation (Strukturreform), Umwelt und Energie Panagiotis Lafazanis, Jahrgang 1951, Mathematiker, früheres Mitglied des Zentralrates der Kommunistischen Jugend Griechenlands und des Zentralkomitees der griechischen Kommunistischen Partei und später Mitglied des Politbüros des Synaspismos.

Herr Lafazanis vertritt den dogmatisch-kommunistischen Flügel innerhalb seiner Partei, der mit 30-40% der Funktionäre geschätzt wird. Er ist stellvertretender Parteivorsitzender von SYRIZA und wird als einer der stärksten Männer in der Partei angesehen. Er gilt als der ideologische Hardliner. Sein Ministerium hat mit der Energie und den Produktionsstrukturen unmittelbaren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Die Methode
Ein Blick auf die Lebensläufe der bisher erwähnten Regierungsmannschaft zeigt eindeutig zwei Gemeinsamkeiten:

a) Alle haben akademische Berufe und viele verdien(t)en ihren Lebensunterhalt in den Hochschulen.

b) Fast alle (bis auf Herrn Varoufakis) haben gemeinsame, ja fast identische politische Lebensläufe als Führungspersönlichkeiten innerhalb der Kommunistischen Partei Griechenlands. Als solche haben sie die entsprechend hochwertigen Kontakte sowohl in den Ländern der früheren Sowjet-Union als auch in den kommunistischen „Gesellschaften“ des früheren West-Europas.

Eine Annahme, dass diese Personen kollektiv „verrückt“ seien, kann zwar gemacht werden, ihre Richtigkeit liegt aber im Bereich des Unwahrscheinlichen.

Es ist bekannt, dass Parteifunktionäre von dogmatisch geprägten Parteien die Karriereleiter nicht nur mit „fester Ideologie,“ sondern auch mit besonderen Leistungen u.a. in Propaganda, Agitation und Verschleierung erklimmen konnten.
Auffallend ist, dass SYRIZAs Aufstieg von einer Außenseiterposition auf den ersten Platz des griechischen Parteienspektrums mit hauptsächlich drei unwahren Thesen in kürzester Zeit erreicht wurde:

a) dass das Memorandum die Verarmung der Bevölkerung verursachte,

b) dass SYRIZA alle Vereinbarungen und daraus resultierenden Gesetze mit einem Federstrich einen Tag nach dem Wahlerfolg durchstreichen würde,

c) dass das hegemoniale Gebaren Deutschlands eine Katastrophe für die europäischen Völker sei.

Hinzu kam eine Reihe von Versprechungen über die Abschaffung von sozialen Ungerechtigkeiten und die Wiederherstellung des früheren Zustandes wie die dreizehnte Monatsrente, Wiedereinstellung von entlassenen Beamten, Zurücknahme der Privatisierungsabsichten etc.

Jeden Beweis, auch andeutungsweise, für diese Aussagen blieben sie ihren Diskussionspartnern bzw. Zuhörern schuldig.
Ebenfalls die seit Jahren gestellte Frage, wo sie das Geld finden werden, um alle ihre sozialen Taten zu realisieren, beantworteten sie nie.

Der Erfolg dieser Strategie basiert auf die ständige Wiederholung ihrer Aussagen, bei jeder Gelegenheit. Jede Stunde, jeden Tag, jeden Monat, seit Jahren. Die entfachte Polyphonie, die am Wahlabend auf der gewonnenen „Regierungsplattform“, die für manche als Kakophonie wahrgenommen wurde, erreichte ebenfalls das Ziel, ganz Europa auf den griechischen „Fall“ aufmerksam zu machen und alle Verbündeten einer „sozialen“ Politik europaweit zu mobilisieren.

Die rege Reisetätigkeit des Finanzministers Janis Varoufakis erst nach Frankreich, dann nach England, dann nach Italien und des Ministerpräsidenten Tsipras erst nach Zypern, dann nach Italien … hatte zwei Ziele:

a) Bestätigung der Positionierung Deutschlands auf der Wertigkeitsstufe der griechischen Regierung ( nicht auf den ersten Plätzen),

b) Mobilisierung der europäischen politischen Entscheidungsträger (an erster Stelle südeuropäische Minister und Ministerpräsidenten) als Gegenpol zu Deutschland.

Die Erklärungen des französischen Finanzministers am Sonntag, den 1. Februar und des britischen Finanzministers am Montag, den 2. Februar sowie die traditionellen Empfehlungen von Herrn Juncker über eine lockerere Währungspolitik lassen nichts Gutes für die deutsche Regierung ahnen.

Hinzu kommt die Unterstützung des US Präsidenten für die zu Sparmaßnahmen verpflichteten Staaten und die bevorstehende (ungeplante) Reise von Frau Merkel nach USA als ein weiteres Indiz, dass der Druck auf Deutschland wachsen wird.

Zur Erinnerung; die Kernforderungen von SYRIZA waren:

a) Sofortige Abschaffung der Troika.

b) Neuverhandlungen der griechischen Schulden und Ablehnung von Weiterverhandlungen. Basis dafür soll ein Schuldenschnitt der griechischen Schulden um einen beträchtlichen Prozentsatz zwischen 50 und 80% (je nachdem wer das sagte) sein.

c) Neue Festlegung des Haushaltsüberschusses durch Minimierung auf 1,5% des BIP

Bereits 10 Tage nach dem Wahlgewinn deutete Herr Juncker an, dass die Zeit der Troika für Griechenland beendet werden könnte und bestätigte somit indirekt das Grundargument von SYRIZA, dass die Troika weder ein „institutionelles Organ“ noch ein „demokratisch legitimiertes Organ“sei.

Am Sonntag, den 1. Februar erklärte Herr Varoufakis, dass Griechenland selbstverständlich die Schulden bei dem IWF (35 Milliarden) und bei den Privatinvestoren (65 Milliarden) ohne Einschränkung bedienen wird.
Aber er erwähnte mit keinem Wort die Schulden bei den europäischen Partnern. Sie betragen 222 von 322 Milliarden der gesamten Schulden.

Am Montag, den 2. Februar erklärte Herr Varoufakis (bei einem FT – Interview) die Bereitschaft Griechenlands, Abstand von der Forderung eines Schuldenschnittes zu nehmen, unter der Voraussetzung, dass die vorhandenen Anleihen gegen neue ohne Fälligkeitsdatum ersetzt werden!

Die unmittelbaren Kommentare im Ausland waren teilweise wegen des … „konstruktiven“ Vorschlages positiv ausgefallen. Im Inland wurde dieser Vorschlag teilweise als der Anfang eines Rückzuges von der ursprünglichen Position (nominaler Schuldenschnitt) bewertet.

Innerhalb dieser Woche wird bei einem Treffen mit Herrn Junker auch der Prozentsatz des jährlichen Haushaltsüberschusses verhandelt. Die Ergebnisse werden uns nicht sonderlich überraschen.

Und für das Treffen mit Herrn Schäuble hat Herr Varoufakis auch einen Vorschlag im Gepäck, den Herr Schäuble nicht abschlagen könne, mit Freude annehmen und sein Einverständnis für die anderen Forderungen geben werde: „Die ernsthafte Verfolgung der Steuerflucht!“

Mittlerweile ist das Bild eines nicht unbeträchtlichen Teils der griechischen Bevölkerung über die deutschen Politiker : Steuer, Steuer, Steuer (so wird in der griechischen Presse berichtet).

Dieses Bild ist miserabel und enttäuschend für das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland, wenn die deutschen Forderungen mit denen eines Junkies nach „Stoff“ gleichgesetzt werden.

Und weil Herr Varoufakis weiß, dass Symbole eine große Rolle spielen, hat er es sich nicht nehmen lassen, ein geplantes Treffen mit Managern und der Presse in einem Londoner Hotel mit Krawattenzwang auf Grund seines speziellen Dress-Geschmacks in ein anderes Hotel zu verlegen. Und das griechische Publikum in seiner Heimat platzte vor … Stolz!

Während dieser regen Reisetätigkeit bereiten die in Griechenland gebliebenen Minister alles vor, damit die Versprechen von SYRIZA Realität werden. Zum Beispiel wurden am Freitag,den 29. Januar die Direktoren der staatlichen Privatisierungsbehörde aufgefordert, unverzüglich ihre Kündigung einzureichen. Der erklärte Wille von SYRIZA, Privatisierungen nicht durchzuführen und stattgefundene rückgängig zu machen, wird in die Praxis umgesetzt.

Ebenfalls rückgängig gemacht werden: die Minimierung des Mindestlohnes, die Reduzierung der Renten, die Entlassungen von Beamten etc.

Somit werden Fakten geschaffen, die sowohl den Vereinbarungen mit der Troika als auch den aktuellen Aussagen (z.B. wir brauchen keinen Kredit mehr) widersprechen.

Alle ihre Aussagen und Gespräche beziehen sich ausschließlich, wie in den letzten 5 Jahren, nur auf die Frage des Kreditbedarfs von Griechenland und der Kreditkonditionen zwischen Griechenland und den europäischen Partnern.
Über (konkrete) Maßnahmen zum Wirtschaftswachstum wurden zu keinem Zeitpunkt Gedanken gemacht. Und somit bleibt der (Wirtschafts)motor kalt.

Und während das alles jenseits unserer Grenzen passiert …
sind die deutschen Politiker ratlos und schweigen.

Bei der deutschen Bevölkerung steigen momentan (laut Bild-Zeitung) die Sympathiewerte für die Griechen.

Herr Schäuble wiederholt beharrlich, dass die Griechen ihren Verpflichtungen nachgehen müssen.
Dabei fallen die Sympathiewerte (für die Deutschen) bei allen europäischen Bürgern steil nach unten.
Die Aussagen deutscher Politiker werden als herzlos und rechthaberisch beurteilt.
Frau Merkel pflichtet ihrem Finanzminister bei. Wir können gespannt sein, was sie uns als alternativlos „empfehlen“ wird nach ihrer Rückkehr aus den USA.

Das ist eine kurze Momentaufnahme der friedensstiftenden Wirkung der Eurowährung, die Frau Merkel alternativlos retten wollte und noch will.

Der nächste Schritt

Die Beurteilung und Antwort der eingangs gestellten Frage „Dilettanten oder Profis?“ wird am kommenden Wochenende erfolgen.

Am kommenden Freitag wird das griechische Regierungsprogramm vorgestellt. Dabei werden die verbindlichen Schritte und die Art ihrer Umsetzung für die nächsten vier Jahre (wenn alles gut geht) beschrieben.

Folgende Fragen müssen dabei gestellt und beantwortet werden:
a) Welche konkreten Maßnahmen sind geplant für ein rasches Wirtschaftswachstum?
Sie müssen Reformen der Gerichtsbarkeit, der Steuererhebung, der Korruptionsbekämpfung sowie Bürokratieabbau beinhalten, damit das Land attraktiv für in- und ausländische Investoren wird.

b) Welche konkreten Maßnahmen sind geplant zur Lösung des (bisher unlösbaren) Problems der Rentenversicherung? (2,7 Millionen Arbeitnehmer in der privaten Wirtschaft vs. 3 Millionen Rentner).

Wenn diese zwei Fragen innerhalb des griechischen Regierungsprogramms nicht gestellt bzw. nicht beantwortet werden, dann ist die deutsche Regierung verpflichtet, diese Fragen zu stellen.

Der Umgang mit diesen zwei Fragen wird die Antwort über Dilettanten und Profis sein.

 

03.Februar 2015
Georg Kalos