In der ARD-Talkshow von Anne Will haben sich die Unterstützer der frischgebackenen
Regierung zusammengefunden.
Ich sage bewußt „Unterstützer“ der neuen Regierung. Ich würde lieber Regierungsvertreter
sagen, auch wenn das im Sinne der politischen Theorie nicht ganz korrekt wäre, denn es waren
auch Vertreter der nominellen Opposition dabei: Sarah Wagenknecht (Die Linke)
und Christian Lindner (FDP). Doch faktisch vertraten auch sie die Regierung.
Von den Grünen, aber auch von der AfD: niemand da.
Ernstzunehmende Kritik kam nur vom einzigen Nicht-Politiker, dem Journalisten Robin Alexander
(Verfasser des praktisch totgeschwiegenen Buches „Die Getriebenen“).
Auszug aus einem Pressebericht (meine Hervorhebungen):
Der bestens vernetzte Berlin-Korrespondent der Welt erklärte dabei:
„Das Papier ist ganz eindeutig eine Mischung aus SPD und CSU. Diese beiden
Parteien haben Schnittpunkte gefunden, sie sind beide sozialpaternalistisch.
Wir bekommen einen starken Staat und mehr Umverteilung.”
Das interessante aber sei daran, „dass ich glaube, dass Angela Merkel
fest entschlossen ist, sich nicht daran zu halten”, sagte Alexander. […]
Er nannte dabei unter anderem […] die Europapolitik und die Flüchtlingspolitik.
Und: „Frau Merkel hat sich doch auch an die letzten Koalitionsverträge
nicht gehalten. Die Energiewende stand in keinem Koalitionsvertrag,
von der Grenzöffnung ganz zu schweigen. Die Idee, dass sich
Angela Merkel an dieses Dokument hält, ist komplett naiv“, glaubt er.
Interessant dabei auch die Reaktionen der Gäste während Alexanders
Monolog. Wagenknecht schüttelte zunächst leicht den Kopf, musste dann
grinsen, auch Lindner schaute ein wenig verdutzt, ehe er laut zu lachen
begann. Schwesig grinste ebenfalls und Kramp-Karrenbauer reagierte auf
diese Vorhersagen mit Sarkasmus.
https://www.merkur.de/politik/anne-will-merkel-insider-mit-pikanter-theseueber-kanzlerin-zr-9685807.html
„Interessant“ sind die Reaktionen allemal. Merkels Alleingänge an Koalitionspartner
und Parlament vorbei erscheinen plötzlich nicht mehr als Verfassungsbruch
(Udo die Fabio, Jürgen Papier) oder als Bruch europäischer Verträge. Sie erscheinen
als mutige und kluge Entscheidungen in großer Gefahr. Keine Rede von den Krisen,
in die sie Deutschland gestürzt haben, keine Rede von Energiekrise, von Migrantenkrise.
Auch Seehofers „Herrschaft des Unrechts“ ist vergessen. (Kein Wunder,
Seehofer selbst hat es vergessen lassen, und es wäre interessant, was sein Nachfolger
dazu gesagt hätte. Aber auch von der CSU war niemand da.)
„Interessant“ war auch, daß CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer gar nicht
erst versuchte, den Hinweis auf den fortgesetzten Koalitionsbruch zu entkräften.
Im Gegenteil: sie rechtfertigte ihn. Und sie wies den Miesepeter zurecht: Regieren
heiße auch auf etwas zu reagieren, was uns die Realität gibt. Naiv sei vielmehr
Alexanders „Sicht auf die Politik“.
Dieselben Politiker werten Putins und Erdogans Alleingänge mit besorgter Miene
unter dem Aspekt der Demokratietheorie: als untrügliche Vorzeichen der drohenden
Diktatur. Merkels Rechts- und Koalitionsbrüche werten sie unter technokratischem
Aspekt: als kluge und alternativlose Reaktion unter Sachzwang, als Reaktion
auf die (vermeintliche) „Realität“.
Und da von der wirklichen Opposition niemand da ist, bleibt dies das letzte Wort,
das dem Zuschauer mitgegeben wird.
Also alles interessant, aber nicht ernst. Und sie nehmen es mit Humor, quittieren
mit guter Laune, mit herzhaftem Lachen. Ein lustiges Völkchen, unsere Regierungsvertreter
von beiden Seiten: von der Regierung und der nominellen Opposition.
Wenn schon nicht staatstragend, dann zumindest regierungstragend.
So heiter kommentiert die politische Klasse die Erosion der Demokratie, so geschickt
vertuscht sie das zwangsfinanzierte BRD-Staatsfernsehen.
Schwacher Trost: Im DDR-Staatsfernsehen wäre es gewiß plumper zugegangen.